Gewaltige Brocken bewältigt

Höchst anspruchsvoll: das zweite Chorkonzert bei den Aachener Bachtagen

Von Pedro Obiera

Aachen. Zwei gewaltige Brocken enthielt das zweite Chorkonzert der 44. Aachener Bachtage in der prall gefüllten Kirche St. Michael. Auch wenn sich die Dresdner Urfassung der Messe in h-Moll von Johann Sebastian Bach mit dem Kyrie und dem Gloria begnügt und gegenüber der Endfassung bescheiden ausnimmt, verlangt bereits dieser Torso allen Beteiligten eine Menge ab.

Nach diesem fast einstündigen Auftakt folgte dann noch als „Credo“ und absolute Neuheit die erste Gesamtaufführung des oratorischen Triptychons „Sancta Trinitas“ aus der Feder des zeitgenössischen Meisters Enjott Schneider.

Enjott Schneider hat es vor allem als Filmmusiker („Herbstmilch“, „Stalingrad“, „Schlafes Bruder“) zu einiger Bekanntheit gebracht. Sein umfangreiches, eine gute Stunde füllendes Oratorium kann den Filmmusiker nicht verleugnen. Da klingt manches plakativ und aufgeblasen, ganz im Gegensatz zu Martin Luthers schlichtem Choral „Wir glauben all an einen Gott“, der den drei Teilen des Werks zugrunde liegt.

Die Strophen des Chorals werden ergänzt durch Gebete und geistliche Texte des Astronomen Johannes Kepler, des im KZ Flossenbürg ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer und der mittelalterlichen Mystikerin Hildegard von Bingen, die die klare Glaubenshaltung Luthers durch die Bekenntnisse eines Naturwissenschaftlers, eines Nazi-Opfers und einer von mystischem Glaubensfeuer entflammten Ordensfrau unterschiedlich akzentuieren.

Aufbrausende Orchesterwogen

Auch wenn Schneider, wie es sich für einen Filmkomponisten gehört, stilistisch aus dem Vollen schöpfen kann und sein versiertes Handwerk auch reichlich einsetzt, fällt auf, dass die drei Teile trotz ihres inhaltlich verschiedenen Zungenschlags recht ähnlich klingen. Der virtuose Umgang mit symphonisch farbigen und aufbrausenden Orchesterwogen, mit deklamatorischen Gesangstechniken und behutsamen modernen Stilmitteln durchzieht alle drei Teile in gleichem Maß, so dass die Gesamt-Aufführung nicht wesentlich mehr an Kontrasten bringt als die Präsentation eines einzelnen Teils.

Den im Unterschied zu Bach eher flächig angelegten, oft geradezu instrumental in den Orchesterklang eingewobenen Chorpart bewältigt der groß besetzte Aachener Bachverein mühelos. Die kniffligsten Aufgaben hat ohnehin das Orchester zu bewältigen, wobei Georg Hage gut daran tat, mit dem Deutschen Radio Kammerorchester ein renommiertes, professionelles Ensemble zu betrauen, dass die heiklen Aufgaben von Enjott Schneider genauso souverän lösen konnte wie zuvor die wesentlich subtileren der Bach-Messe. Zwei Solo-Partien fordert Schneiders Oratorium, die mit der Sopranistin Inga Lisa Lehr hervorragend, mit dem sehr hell timbrierten und nicht immer ganz sicher intonierenden Bariton Jens Hamann befriedigend besetzt waren.

Bachs Musik in monumentalen Chorbesetzungen zu präsentieren ist heute nicht mehr durchweg angesagt. Schlankheit und Transparenz sind natürlich mit kleineren Formationen leichter zu erreichen. Nimmt man derlei Abstriche in Kauf, wird der Aachener Bachverein freilich auch in seiner vollen Besetzung den Anforderungen der Missa gerecht. Da das auch für das durch die exzellente Altistin Alice Lackner und den bereits mehrfach in Aachen hervorgetretenen Tenor Florian Cramer ergänzte Solistenquartett gilt, wurde ein solider Grundstein für eine eventuelle Gesamtaufführung des ausgearbeiteten Werks gelegt.

Begeisterter Beifall für alle Beteiligten, auch für den anwesenden Komponisten Enjott Schneider, dessen Oratorium für eine CD-Aufnahme mitgeschnitten wurde.

Aachener Nachrichten, 28.11.2017