Wie ein Befreiungsschlag

Von Pedro Obiera

Aachen. Die Lockerungen in der Corona-Pandemie kamen gerade rechtzeitig zur Passionszeit, so dass der Aachener Bachverein endlich wieder in größerer Stärke antreten konnte – und das mit einem Herzstück seines Repertoires, nämlich Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion. Hatte Kantor Georg Hage das Werk vor sieben Jahren in der Bearbeitung von Robert Schumann präsentiert, erklang in der voll besetzten Kirche St. Michael diesmal Bach in Reinkultur.

Und das nicht nur auf dem gewohnt hohen Niveau des Bachvereins, sondern darüber hinaus wie ein Befreiungsschlag. Sind die meisten Chorpassagen, von den Chorälen abgesehen, in der Johannes-Passion ohnehin straffer und dramatischer angelegt als in dem milder tönenden Geschwisterwerk nach Matthäus, so schienen die Sängerinnen und Sänger noch zusätzliche Energiereserven mobilisiert zu haben. So schlagkräftig und plastisch sind die Turba-Chöre selten zu hören, wobei Hage die Grundsätze kultivierten Chorgesangs nicht vernachlässigte. Dazu gehören Intonationsreinheit, Stilsicherheit, klangliche Ausgewogenheit und Textverständlichkeit. Tugenden, mit denen der Bachverein in jedem seiner Konzerte punkten kann.

 

Die Vorzüge treffen auch auf das nach wie vor exzellent aufspielende Arcipelago-Ensemble für Alte Musik zu, das seine schwierigen Aufgaben spieltechnisch und in partnerschaftlichem Einvernehmen mit Chor und Solisten vorbildlich bewältigte.

Auch bei der Besetzung des Solisten-Quintetts bewies Hage ein glückliches Händchen. Sophia Körber trug ihre Arien mit ihrem leuchtenden Sopran ebenso mühelos und innerlich erfüllt vor wie Marion Eckstein die langen Alt-Arien. Dabei phrasierte die Altistin so lebendig, dass die Längen ihrer Gesänge zu keinen Spannungsverlusten führten.

Florian Cramer empfahl sich mit seinem hell timbrierten und kultiviert geführten Tenor als erstklassiger Evangelist, der seine Texte ebenso durchdacht wie innerlich engagiert vortrug und den auch die Herausforderungen der Tenor-Arien nicht in Bedrängnis brachten. Der Bassist Jens Hamann gestaltete die Jesus-Partie mit klarer, unsentimentaler Tongebung, wobei sich seine etwas hellere Stimme werkdienlich von dem schwärzer gefärbten Bass seines Kollegen Manfred Bittner abhob, der die Arien und die Partie des Pilatus mit großem Stimmeinsatz zum Klingen brachte.

Begeisterter Beifall für einen exzellenten Beitrag zur Passionswoche.

Aachener Nachrichten, 12.04.2022