Eindrucksvolle Rarität

Aachener Bachverein mit Scarlattis "Marienvesper"

Von Pedro Obiera

Aachen. Es ist ein Werk, das es eigentlich gar nicht gibt, und das dennoch gute Chancen hat, Eingang ins Repertoire barocker Chormusik zu finden. Das hat der Aachener Bachverein mit einer eindrucksvollen Aufführung in der Kirche St. Michael demonstriert. Kantor Georg Hage stellte Alessandro Scarlattis „Marienvesper“ vor, eine Folge von sieben ursprünglich unabhängigen Psalmvertonungen mit einem Magnificat zum Abschluss. Ein 2004 von dem Musikwissenschaftler Jörg Jacobi zusammengestelltes Konstrukt, das in dieser Form niemals als geschlossenes Werk gedacht war und in der Interpretation durch den Bachverein dennoch überzeugen konnte.

Jacobis „Vespro della Beata Vergine“, so der vollständige Titel, rückt die Meisterschaft Alessandro Scarlattis ins Bewusstsein, der bis heute nicht den Schatten seines bekannteren Sohnes Domenico abschütteln konnte. Zudem vermitteln die zwischen 1700 und 1720 entstandenen Werke einen illustren Einblick in die stilistische Vielfalt der Chormusik im Übergang vom Barock zur Frühklassik. Sie sind für fünf Singstimmen und Basso Continuo vorgesehen, lassen sich aber variabel besetzen und bieten dankbare Aufgaben für ein Solistenquintett und den Chor. 

Hage begnügt sich derzeit noch mit einer kleinen Besetzung seines Kammerchors BachVokal, was angesichts des zehnköpfigen, wie immer stilsicher agierenden Instrumentalensembles für Alte Musik Arcipelago völlig ausreicht. In dieser Formation konnten Chor und Orchester Hages differenzierten Tempo- und Dynamikvorstellungen mühelos folgen. Dass BachVokal alle Tugenden des Chorgesangs einschließlich lupenreiner Intonation und rhythmischer Präzision beherrscht, versteht sich angesichts der sorgfältigen Probenarbeit Hages von selbst.

Auch bei der Besetzung der anspruchsvollen Solopartien bewies Hage wie gewohnt ein glückliches Händchen. Klangschön und nahezu makellos fanden die fünf Sängerinnen und Sänger zu einem erfreulich homogenen Ensemble zusammen. Es sangen auf gleich hohem Niveau die Sopranistinnen Isabel Schicketanz und Andrea Nübel, der Countertenor Johannes Euler, der Tenor Florian Cramer und der Bassist Manfred Bittner.

Das Publikum reagierte mit langanhaltendem Beifall.

 

 

Aachener Nachrichten, 08.02.2022