Von unwiderstehlicher Wucht und Wirksamkeit

Georg Hage rückt spirituelle Intensität des Werks in den Vordergrund.

Von Pedro Obiera

Aachen. Die Zugkraft von Giuseppe Verdis grandioser „Messa da Requiem“ ist ungebrochen. Bei den Aachener Bachtagen blieb im Eurogress kaum ein Stuhl leer, als der Bachverein zu einer groß besetzten Aufführung des Werks einlud, obwohl Verdi nicht zur Domäne des Chors zählt. Die Durchschlagskraft des Werks ist allerdings von solch unwiderstehlicher Wucht und Wirksamkeit, dass konfessionelle, zeitliche oder stilistische Fragen in den Hintergrund rücken.

Georg Hage sorgte für reichlich quantitative Verstärkung des Bachvereins durch die Chöre des Collegiums Musicum der RWTH Aachen und der Kölner Universität. Den gewaltigen Chorapparat zusammenzuhalten, ist nicht einfach, gelang Hage jedoch ohne größere Pannen. Auch mit der Philharmonie Südwestfalen hat Hage angesichts der knappen Probenzeit erfreulich intensiv gearbeitet, so dass das dunkel timbrierte Kolorit des raffiniert ausgefeilten Orchesterparts angemessen zu seinem Recht kam.

Wenn gleich zwei Solopartien des mit äußerst anspruchsvollen Aufgaben betrauten Vokalquartetts krankheitsbedingt umbesetzt werden müssen, dürften die Nerven des Chorleiters flattern. Es ging jedoch alles gut: Sung Min Song mit seinem sicher und mühelos geführten, extrem kultiviert klingenden Tenor ersetzte den erkrankten Kollegen Thomas Piffka ohne jeden Qualitätsverlust. Georg Gädkers Bass fehlte es zwar ein wenig an Schwärze und Volumen, doch auch er konnte sich schnell in das Vokalquartett eingliedern, dessen weibliche Partien mit der Sopranistin Katharina Persicke und der Altistin Franziska Gottwald vorzüglich besetzt waren.

Dass Hage die spirituelle Intensität des Werks in den Vordergrund rücken wollte, ließ er gleich in der getragenen Einleitung erkennen. Ohne den Klang sowohl des Chors als auch des Orchesters aufzuweichen, ließ er es nicht an emotionalem Nachdruck vermissen, wobei er auf opernhafte Übertreibungen verzichtete. Auch im „Tuba Mirum“ mit den bedrohlichen Trompeten des Jüngsten Gerichts, die Hage nicht räumlich verteilte, sondern brav im Orchester beließ.

Hier war ihm stärker an der Gestaltung des Textes als an einem plakativen Effekt gelegen, was sich sowohl in den Solo- als auch in den Chorpartien niederschlug. Bei den zügigen, klar strukturierten Chorfugen hörte man der Interpretation die langjährigen Erfahrungen Hages und seines Chors mit der Musik Bachs an, auch wenn es das Eurogress den Chormassen nicht immer leicht macht, die nötige Klangtransparenz zu erzielen.

Insgesamt hinterließ der Vortrag jene nachhaltige Wirkung, die man von dem Werk erwartet. Dafür dankte das Publikum allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall.

Aachener Nachrichten, 19. 11.2019